D as Zeitalter des digitalen Wandels zeichnet sich vor allem durch eine immer dynamischere Welt aus. Unternehmen haben keine jahrelange Planungssicherheit mehr. Bestehende Wertschöpfungsketten brechen auf und die daraus entstehenden Wertschöpfungsnetzwerke werden volatiler, unsicherer und komplexer. Möglich ist dies vor allem durch digitale Technologien.
Wie soll ein Unternehmen nun darauf reagieren? Die Antwort, die Sie in Vorträgen oder Veranstaltungen zu hören bekommen ist, „werde agil“. Ein schöner Begriff, der die meisten aber zunächst orientierungslos zurücklässt. Schauen wir uns also an, was sich genau dahinter verbirgt und in wieweit Agilität tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg in einer digitalisierten Welt ist.
Zunächst einmal bedeutet Agilität (aus dem lateinischen „agilis“) nichts anderes als „Beweglichkeit“ oder „Wendigkeit“. Agile Organisationen zeichnen sich also durch eine hohe Wandlungsfähigkeit aus und stehen mit ihrer Umwelt in fortwährendem Austausch, um unvorhergesehene Ereignisse oder neue Anforderungen frühzeitig zu erkennen. Wichtig ist hierbei, dass eine agile Organisation nicht passiv reagiert, sondern sich aktiv auf mögliche Änderungen vorbereitet, bzw. ihr eigenes Handeln regelmäßig hinterfragt. Dazu nutzt die Organisation ihre heterogenen Netzwerke, die weit über bestehende Supply Chains hinausgehen.
Für Organisationen bedeutet dies eine große Herausforderung, zumal vor allem in der produzierenden Industrie optimierte Prozesse bis ins kleinste Detail festgelegt sind, die eigentlich keine Änderung oder Störung zulassen. Dennoch hat sich das Verfahren einer agilen Entwicklung aus der Softwareindustrie mittlerweile in vielen Bereichen etabliert. Im agilen Verfahren der Softwareentwicklung ist der Weg zum Produkt der Entscheidende, das Entwicklungsteam ist jederzeit bereit, alle Zwischenergebnisse wieder in Frage zu stellen. Dadurch ist es möglich, Fehlentwicklungen frühzeitig aufzudecken und darauf aufbauende Probleme zu vermeiden.
Ein wesentliches Merkmal einer agilen Organisation ist also, anstelle einer umfassenden Prozessplanung und Dokumentation den Fokus auf das Produkt und die Leistung, also das Ergebnis zu lenken.
Ein großer Vorteil dieses ständigen Hinterfragens ist, dass die Unternehmen widerstandsfähiger gegenüber externen Krisen sind. Man spricht hierbei auch von „Resilienz“. Diese Widerstandsfähigkeit ist eine der Schlüsselfähigkeiten von Organisationen in einem dynamischen Marktumfeld.
Am Beispiel der Deutschen Bahn zeigt, dass besonders die Resilienz im Fall von Störungen der Infrastruktur nicht hinreichend gegeben ist. Die Reaktion auf Störungen (zum Beispiel Sturmschäden) dauert zu lange, Passagiere werden nur spärlich informiert und Ersatztransportmittel oftmals mit Verspätung zur Verfügung gestellt. Ähnlich ergeht es produzierenden Unternehmen. Eine Ablaufstörung im Zulieferprozess bringt oftmals die gesamte Produktion zum Erliegen.
Widerstandsfähige Prozesse in Unternehmen, die schnell reagieren können, sind daher die Grundvoraussetzung für den Einsatz neuer Produktionstechnologien. Ziel ist es, in einer flexiblen Produktion Losgröße 1 zu Kosten der Massenproduktion herzustellen. Möglich machen das unter anderem neue Fertigungsverfahren (z.B. 3D Druck) oder modular miteinander vernetzte Fertigungsmaschinen in einer Smart Factory, die auf Grundlage von Datenanalysen schnell auf die individuellen Anforderungen von Werkstücken reagieren können.
Eine agile Organisation zeichnet sich also durch die Fähigkeit aus, auf Veränderungen zu reagieren und nicht nur streng nach vorgegebenen Plänen zu funktionieren.
Durch Agilität erreichen Unternehmen Ziele also oftmals schneller und idealerweise fehlerfrei. Eine Herausforderung ist agile Unternehmenssteuerung aber für das Qualitätsmanagement. Dieses ist in seiner klassischen Ausprägung ebenfalls prozessorientiert und ist damit nicht in der Lage, agile Ansätze zu berücksichtigen. Die Reaktion der Qualitätsmanager ist folglich, dass sie Disruption und agile Prozesse ablehnen mit Verweis auf die fehlenden Kontrollstandards.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihr Verständnis von Qualitätsmanagement neu definieren müssen. Davon ausgehend, dass ein agiler Prozess bestimmten Regeln folgt und klare Rollenverantwortung hat, rücken die Mitarbeiter in den Fokus. Sind sie ausreichend trainiert für ihre Rolle im agilen Prozess, machen sie weniger Fehler, bzw. merken umgehend, wenn Fehler entstehen und sind bereit diese zu melden.
Es geht also um eine umfassende Änderung der Organisationskultur.
In Organisationen ohne Agilität werden Prozesse definiert und Werkzeuge zum Einsatz gebracht. Dabei ist die wertvollste Ressource einer Organisation der Mensch. Mit seiner Kreativität und der Fähigkeit sich zu vernetzen, kann er selbst auf außergewöhnliche Situationen reagieren und eine neue Lösung erarbeiten. Denken sie zum Beispiel an die Mission der Apollo 13, als 3 Astronauten in einem nicht mehr funktionierenden Raumschiff gefangen waren, der Rückweg zur Erde schien versperrt, die Situation ausweglos. Dann ist es aber dem Personal am Boden gelungen eine völlig neue Lösung zu erarbeiten, die letztendlich die Rettung ermöglichte.
Kern dieser Erarbeitung war der Einsatz individueller Kreativität kombiniert mit intensiver Interaktion (alle an einem Tisch basteln an der Lösung). Ein weiteres wichtiges Merkmal war der hohe Druck in dem Projekt, da das Leben der Astronauten konkret in Gefahr war. An diesem Beispiel kann jedes Unternehmen lernen, dass sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit der Interaktion geben müssen, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen. Druck entsteht wiederum durch einen klar definierten Zeitrahmen und die Qualität wird um einen Prozessverantwortlichen sichergestellt.
Es geht für agile Unternehmen also darum, durchdachte Zukunftspläne zu erstellen und damit den Mitarbeitern Raum für eine experimentelle Zukunftsorientierung einzuräumen. Querdenken zwischen den Unternehmensbereichen, Fehler und Innovationen zu tolerieren und die Kreativität der Mitarbeiter zu belohnen sind Kernelemente einer agilen Unternehmenskultur. Aus Sicht der Unternehmensleitung bedeutet dies, die Entscheidungswege zwischen Mitarbeiter und Führungskräften zu verkürzen und eine schlanke Aufbau- und Ablauforganisation zu entwickeln. Nutzen Sie dazu auch alle technologischen Möglichkeiten, die es heute softwaregestützt für die Unternehmensorganisation gibt.
Besinnung auf die eigenen, in der Vergangenheit angesammelten Stärken ist der Kern für die Fähigkeit der Weiterentwicklung. Es geht im Wesentlichen darum, die eigenen Potenziale zur Wandlungsfähigkeit zu reflektieren und zu stärken.
Fassen wir also zusammen, in einem AgilEcosystem haben vor allem die Unternehmen gute Chancen, die ihre Organisationskultur ernsthaft auf agiles Arbeiten anpassen. Das fängt bei der Führung an, die in der Lage sein muss, die Wandlungsfähigkeit der Organisation zu stärken und geht bis zu jedem einzelnen Mitarbeiter, der sich aktiv mit seiner Kreativität in die Unternehmensentwicklung einbringen soll. Im agilen Unternehmen gibt es keinen einzelnen Verantwortlichen, sondern nur das erfolgreiche Unternehmen mit vielen guten Mitarbeitern, die Verantwortung für (Teil-)Ergebnisse übernehmen.
Was heißt das konkret für Sie als Unternehmer? Fangen Sie noch heute damit an! Ein erster Ansatzpunkt könnten die zahlreichen Meetings, Jourfixes und Abstimmungsrunden sein. Kürzen Sie diese um 50% und halten sie diese künftig im Stehen ab. Sie werden sehen, wie das das agile Denken beflügelt. Jeder soll die Chance haben, über sein aktuelles Thema zu sprechen und vor allem die Hindernisse, die ihm zur Erfüllung der Aufgabe im Wege stehen zu benennen.
Dr. Alexander Bode