D er Produktionsfaktor Arbeit entwickelt sich zunehmend zu einem Zusammenspiel aus Mensch und Maschine. Ausgehend von der Vision, dass Roboter, Computer und Algorithmen den Menschen in seinem Wirken vor allem im Bereich standardisierter Prozesse unterstützen kann, wird sehr deutlich, dass sich auch die Fähigkeiten und Kompetenzen des Menschen ändern müssen, wenn diese Zusammenarbeit einen Mehrwert bringen soll. Die digitale Arbeitswelt verlangt also nach einer lebenslangen Entwicklung – einer individuell gestalteten Lern- und Erfahrungsreise.
Meines Erachtens stehen in Zukunft nicht nur die digitalen Fertigkeiten wie Programmieren oder IT-Technik im Fokus, sondern vor allem die Kompetenzen, die den Menschen seit je her auszeichnen: Kreativität, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, sich zu vernetzen (siehe hierzu meinen BLOG-Beitrag). Ein weiterer Aspekt ist die Verknüpfung mit neuen Technologien. Künstliche Intelligenz wird in einer digitalen Welt so ziemlich überall drinstecken. „KI ist wie Strom“, lautet die Annahme zahlreicher Zukunftsforscher. Grundlage für einen effektiven Einsatz ist aber, natürliche Intelligenz (also beim Menschen), der mit der künstlichen Intelligenz interagiert.
Die Grenzen zwischen menschlicher und maschineller Arbeit sind dabei zunehmend fließend, schon heute werden im Bereich der industriellen Fertigung hybride Arbeitsmodelle in die Tat umgesetzt. Die Rolle des Menschen ist es dabei in Zukunft, vor allem die Verantwortung für die Qualität der Ergebnisse zu übernehmen, an den wichtigen Punkten Entscheidungen zu treffen und sich ansonsten auf die innovativen und kreativen Teile der Prozesse zu kümmern. Daraus ergibt sich die Chance, dass die Arbeit insgesamt flexibler und menschlicher wird und sich besser an den Lebensrhythmus des Einzelnen anpassen lässt.
In der Konsequenz der skizzierten Version wird klar, der Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten wird sich signifikant ändern! Genauso wie wir in Fertigungsprozessen künftig Künstliche Intelligenz einsetzen, bedarf es umgekehrt eines begleitenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz für das Lernen jedes Einzelnen.
Neue Technologien dürfen dabei nicht vor den Schulen halt machen. Eine Lehrkraft ist heutzutage vielerorts schon extrem durch die sozialen Spannungen in den Klassen gefordert. Größere Klassen, kulturelle Unterschiede und unterschiedliches Sprach- und Bildungsniveau sorgt vor allem in den Grundschulden dafür, dass eine individuelle Lernförderung für Schülerinnen und Schüler kaum möglich ist. Hier könnte Software mit Künstlicher Intelligenz unterstützen und individuelle Stärken und Schwächen in einzelnen Fächern herausfiltern, bzw. die Schülerinnen und Schüler gezielt mit Aufgaben fördern. Hausaufgaben würden damit individualisiert und die Lernergebnisse der gesamten Klasse würden sich verbessern. Die Lehrkraft kann sich stärker auf den Kompetenzaufbau „von Mensch zu Mensch“ konzentrieren, der weit über die reine Wissensvermittlung hinaus geht.
Dass der Einsatz von KI-basierter Software eine hilfreiche Option ist, demonstriert aktuell ein Startup in Hamburg, was an dutzenden von Schulen Lernsoftware als „Coach“ im Fach Mathematik einsetzt. Die Ergebnisse dieses Pilotprojekts sind überzeugend, die Gesamtleistung der Schülerinnen und Schüler in einer Klasse werden nachweisbar besser und gleichzeitig nimmt die Freude an Mathematik zu, da die Betroffenen individuell, an ihr Leistungsniveau angepasste Aufgaben erhalten. Die typischen Effekte, die jeder aus dem Mathematik-Unterricht kennt, dass die Schwachen aufgeben und die Experten frustriert sind, da es nicht fordernd genug ist, gehören damit der Vergangenheit an.
Die Fortsetzung des Gedankens, KI bereits in der Schule einzusetzen mündet über Ausbildung / Studium schließlich im Berufsleben. Ich bin fest davon überzeugt, dass es den klassischen Karriereweg von der „Ausbildung bis zur Rente“ nicht mehr geben wird. Wir wissen heute noch nicht, zu welchen Möglichkeiten die Technologie uns in 20 Jahren verhilft. Viele Branchen haben diesen Veränderungsprozess schon durchlaufen oder stecken aktuell mitten im Umbruch. Ein Banker, der vor 30 Jahren eine Ausbildung absolviert hat und jetzt im Kreditwesen arbeitet, war mit der Aussicht auf einen sicheren Job bis zur Rente ausgestattet. Heute, mit Ende 40 stellt er fest, dass er nicht davon ausgehen kann, dass seine klassische Expertise zur Kreditvergabe noch 15 Jahre lang benötigt wird.
Künstliche Intelligenz könnte ihm hier eine wichtige Hilfestellung für die notwendige Weiterentwicklung liefern. Dank der Möglichkeit, durch KI Muster zu identifizieren und mit anderen Mustern abzugleichen, könnte KI seine Stärken und Schwächen filtern und einen Entwicklungspfad aufzeigen. Vielleicht ist er mit seiner Kompetenz gut geeignet, einem aufstrebenden Startup bei der nächsten Finanzierungsrunde zu helfen. Vielleicht bedarf es bei ihm nur einiger Weiterbildungsmaßnahmen, um in der Bank der Zukunft weiterhin einen attraktiven Job zu finden.
Bei aller Künstlichen Intelligenz, die Entscheidung für die individuelle Lernreise nimmt einem niemand ab. Der Staat kann die regulatorischen Voraussetzungen schaffen, die Technologie kann bei der Umsetzung unterstützen, der Arbeitgeber kann für entsprechende Förderung sorgen. Die Verantwortung für ein lebenslanges Lernen und Entwickeln, die liegt bei jedem Einzelnen und ist nicht delegierbar.
Die Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz sind vielfältig, angefangen bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten über die Förderung von Weiterbildung außerhalb des eigenen Bereichs bis hin zu den technischen Bedingungen, die gegeben sein müssen. Der Mensch sollte diesen Entwicklungen offen gegenüberstehen und viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten ihre Angst vor Veränderung ablegen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.
Ein gutes Beispiel sind hier die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Verwaltungen. Viele Menschen schätzen die Sicherheit des Arbeitsplatzes und nehmen dafür Tätigkeiten in Kauf, die weder kreativ noch wertschöpfend sind. Die allermeisten Verwaltungstätigkeiten sind mittelfristig sogar digitalisierbar. Auf der anderen Seite fehlen vor allem im Dienstleistungsbereich sowie der Fertigung zunehmend Arbeitskräfte. Mit Hilfe entsprechender Weiterbildung und individuell gestalteten Trainingsprogrammen kann auch das Interesse an ganz neuen Berufsbildern geweckt werden.
Nicht zuletzt bei der Personalakquise spielt Künstliche Intelligenz künftig eine viel wichtigere Rolle. Jobs werden nach meiner Überzeugung nicht mehr nach vorgefertigten Lebensläufen, sondern nach Kompetenzen, individuellen Interessen und Erfahrungsprofilen vergeben. Diese finden sich branchenübergreifend heute schon in den sozialen Netzwerken. Unternehmen sind also darauf angewiesen, aus der Masse an Möglichkeiten die genau passenden Profile zu identifizieren, KI wird sie darin unterstützen.
Unternehmer sind in Zeiten des digitalen Wandels besonders gefordert, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Dies gilt insbesondere für die Bereiche, in denen die Mitarbeiter unmittelbar betroffen sind, schließlich ist der damit verbundene kulturelle Wandel ein längerer Veränderungsprozess.
Ziel sollte es für die Unternehmen sein, sich als „Ermöglicher“ für eine lebenslange Entwicklung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sehen. Damit gelingt es nicht nur die Bindung an das Unternehmen zu stärken, sondern gleichzeitig Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit im Markt zu steigern.
Dr. Alexander Bode
#einfach machen